In den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts nahm die Entwicklung des Fremdenverkehrs, bedingt durch den Weltkrieg und seine Auswirkungen, in Südtirol einen eigenen Weg. Aber selbst in jenen schwierigen Jahren entstanden auch bei uns noch spektakuläre neue Gebäude wie, um nur zwei davon zu nennen, das Hotel Drei Zinnen in Sexten und das Hotel Monte Pana in Gröden. Die Problematik historischer Gastbetriebe lässt sich an den beiden Beispielen geradezu paradigmatisch aufzeigen. Während der Baubestand und die Ausstattung im Sextener Hotel zur Gänze erhalten und mit großem Einfühlungsvermögen neuen Erfordernissen entsprechend Neues hinzugefügt wurde, erfuhr das Hotel Monte Pana eine weit einschneidendere Modernisierung.
Mit dem Aufkommen des Massentourismus ab 1960/70 ca. treten in Südtirol die historischen Gastbetriebe zahlenmäßig hinter die Neubauten zurück. So manches traditionsreiche Haus wurde geschlossen, wobei Umnutzung oder gar Abbruch folgten. War es schon damals nicht einfach, ein historisches Hotel oder Gasthaus den neuen Erfordernissen der Zeit anzupassen, so stehen Eigentümer oder Betreiber im Hinblick auf die ständig wachsenden Ansprüche des Gastes einerseits, auf immer umfassendere Vorschriften und Normen andererseits heute vor größeren Problemen denn je. Der Spagat zwischen Erhaltung und Erneuerung kann nur gelingen, wenn sich alle Beteiligten nicht nur des wirtschaftlichen Aspektes, sondern auch des kulturellen Auftrages bewusst sind. Als Anerkennung für all jene, die den zugegebenermaßen schwierigeren Weg einem Abbruch und Neubau vorgezogen haben und auf diese Weise nicht nur den eigenen Betrieb erhalten und verbessert, sondern auch der Öffentlichkeit einen kulturellen Dienst erwiesen haben, ist die Auszeichnung in der Schweiz und in Südtirol gedacht. Gleichermaßen versteht sie sich aber auch als Anreiz und Aufmunterung, das kulturelle Potenzial von historischen Gaststätten weiterhin zu nutzen und zur Entfaltung zu bringen.
Blättert man in dem vor 40 Jahren erschienenen Buch „Historische Gaststätten in Tirol“ von Franz Hieronymus Riedl und Hermann Frass, so wird einem bewusst, wie viele Betriebe seit damals einschneidend verändert oder gar geschlossen worden sind. Waren für die Schließung meist wirtschaftliche oder familiäre Gründe ausschlaggebend, so werden Missgriffe am Bau und seiner Ausstattung oft in bester Absicht angerichtet, um dem angeblichen Geschmack der Gäste entgegenzukommen. Die nicht nur auf Südtirol beschränkten Modewellen einer radikalen Modernisierung zuerst und einer pseudohistorischen „Disneylandisierung“ später, nehmen sich in geschichtsträchtigen Mauern doppelt peinlich aus. Trotz aller Probleme werden aber in Südtirol immer noch zahlreiche historische Gastsbetriebe mit großem kulturellem Verantwortungsbewusstsein weitergeführt, manchmal sogar in historischen Gebäuden neu eröffnet.
Aus den alljährlichen Bewerbungen wurde seit 2006 jeweils für das folgende Jahr achtmal die Auszeichnung „Der historische Gastbetrieb des Jahres in Südtirol“ vergeben:
- 2007 Hotel Drei Zinnen in Sexten,
- 2008 Park Hotel Holzner in Oberbozen,
- 2009 Hotel & Restaurant Ansitz zum Steinbock in Villanders,
- 2010 Zirmerhof in Radein und ex aequo Parkhotel Laurin in Bozen,
- 2011 Hotel Elephant in Brixen,
- 2012 Pension Briol in Dreikirchen/ Barbian,
- 2013 Hotel Pragser Wildsee in Prags
- 2014 Seehotel Ambach am Kalterer See
- 2015 Restaurant Sigmund in Meran
- 2016 Ansitz zum Löwen in Burgeis
- 2017 Hotel Schloss Sonnenburg in St. Lorenzen
- 2019 Hotel Gasthof Zum Hirschen, Unsere lb. Frau im Walde
Nicht jährlich, aber immerhin sechsmal entschied die Jury, neben dem Hauptpreis eine besondere Auszeichnung an Betriebe zu vergeben, die ebenfalls vorbildliche Arbeit geleistet hatten. Es sind dies das Gasthaus Krone in Laas, der Gasthof Alte Post in Sexten, die Wirtshäuser zur Blauen Traube in Algund, Vögele und Löwengrube in Bozen sowie das Ottmanngut Suite and Breakfast in Meran
Unter den 14 ausgezeichneten Betrieben überwiegen Häuser mit mehrhundertjährigem Baubestand wie der Elephant, der Steinbock, der Zirmerhof, die Krone, die Blaue Traube, das Vögele, die Löwengrube und das Ottmanngut. Es folgen Betriebe aus den Goldenen Jahren des Tiroler Fremdenverkehrs vor 1914 wie das Hotel Pragser Wildsee, der Gasthof Alte Post in Sexten, die Parkhotels Holzner in Oberbozen und Laurin in Bozen. Das von Architekt Clemens Holzmeister entworfene Hotel Drei Zinnen in Sexten und die vom Maler Hubert Lanzinger konzipierte Pension Briol in Dreikirchen/ Barbian verkörpern architekturgeschichtliche Dokumente der Zwischenkriegszeit. Für längere Diskussionen innerhalb der Jury sorgte der Hauptpreis 2013, der an das 1973 erbaute Seehotel Ambach fiel. Erst nachdem sich die Mitglieder vom historischen Charakter jener Zeitepoche, die auf lokaler wie globaler Ebene inzwischen als völlig abgeschlossen zu werten ist, überzeugt hatten, wurde der Preis diesem außergewöhnlichen und unter den Hotelbauten jener Jahre in Südtirol durchaus einzigartigen Werk von Othmar Barth zuerkannt.
Der historische Bestand des Baues und seiner Ausstattung bildet aber nur eine Voraussetzung. Die andere betrifft den Geist, mit dem der Betrieb geführt wird und die Qualität der getätigten Erneuerungen, Ergänzungen oder Erweiterungen. Erst wenn beide zusammentreffen, erfüllt sich der Sinn der Auszeichnung.
Dr. Helmut Stampfer